Der schmale Grat zwischen sinnvoller Marketingmaßnahme und Marktschreierei
Künstliche Verknappung ist eine bekannte und bewährte Marketingmethode. Bis zu einem gewissen Grad sind solche Angebote auch weitgehend akzeptiert – z.B. Frühbucherpreise für Seminare und Konferenzen. Im Onlinemarketing wirkt die Verknappung allerdings manchmal zu künstlich. Was wie ein billiger Marketingtrick wirkt, schreckt eher ab.
In diesem Beitrag erfährst Du, was Du beachten musst, damit Verknappungsstrategien in Deinem Marketing tatsächlich Ergebnisse bringen. Das sind die Voraussetzungen:
- Die Maßnahme muss glaubwürdig sein
- Sie muss entscheidungsrelevant für die Zielgruppe sein
- Die Zielgruppe muss grundsätzlich aufgeschlossen für solche Maßnahmen sein
Ergänzung vom September 2022
- Die Studentin Julia Voß hat mich für ihre Masterarbeit zum Thema Scarcity Marketing interviewt.
Das Gespräch habe ich als Podcastepisode veröffentlicht.
Am Ende des Beitrags kannst Du das Interview anhören und findest eine Inhaltsübersicht
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Heute spreche ich über eine Marketingstrategie, die in meiner Wahrnehmung gerade im Onlinemarketing immer beliebter wird – wobei sie gerade dort manchmal so einen gewissen Beigeschmack hat. Es geht um künstliche Verknappung – wenn Du also für irgendwas die Verfügbarkeit einschränkst – sei es zeitlich oder mengenmäßig. Diese Knappheit soll die Kunden dazu bewegen, nicht erst lange nachzudenken, sondern lieber gleich zuzugreifen.
Das ist als Marketingstrategie nicht neu und hat auch seine Berechtigung. Trotzdem sollte man sich jedes Mal genau überlegen, ob das wirklich die richtige Strategie ist mit der man auch das Richtige erreicht. Was Du dabei beachten musst, das erfährst Du in dieser Episode
Ich werde als Erstes noch mal erklären, was das genau ist und in welchen Formen das auftreten kann. Dann sehen wir uns die Probleme an, die dabei auftreten können und zum Schluss gebe ich Dir ein paar Tipps, was Du bei dieser Strategie beachten solltest.
Begriffsbestimmung – Was ist künstliche Verknappung?
Eine künstliche Verknappung ist es, wenn der Zugang zu einem bestimmten Angebot eingeschränkt wird – meisten zeitlich oder mengenmäßig.
Da Ziel dabei ist, die Kunden durch diese Einschränkung zu einer schnelleren Kaufentscheidung zu bewegen, bzw. sie überhaupt zu einer positiven Kaufentscheidung zu drängen. Wenn nur noch wenige Exemplare oder Plätze vorhanden sind, wenn nur noch wenig Zeit verbleibt, dann greift man lieber gleich zu als noch lange zu überlegen und zu vergleichen.
Und zwar ergibt sich bei der künstlichen Verknappung diese Einschränkung aus einer Entscheidung des Anbieters und nicht aus den physischen und objektiven Gegebenheiten.
Wenn Du ein Seminar machst und in den Seminarraum passen nur 20 Leute, dann kannst Du auch nur 20 Plätze verkaufen. Das ist eine ganz natürliche Begrenzung. Gut, Du könntest noch einen größeren Seminarraum anmieten, aber sagen wir mal, bei einer größeren Gruppe könntest Du den Stoff nicht mehr optimal vermitteln. Du kannst da also bei allem guten Willen nicht viel machen.
Etwas anderes ist es, wenn Du sagst, Du wirst dieses Seminar nur ein einziges Mal anbieten. Das ist Deine Entscheidung. Du legst – aus welchem Grund auch immer – fest, dass es nur einmalig 20 Plätze geben wird, nicht zweimal, nicht dreimal, nur ein einziges Mal.
Damit signalisierst Du allen, die das Seminarthema grundsätzlich interessant finden, dass sie doch bitte jetzt gleich zuschlagen sollen. Wenn die 20 Plätze weg sind, haben sie keine Chance mehr auf einen Folgetermin. Das hilft natürlich, die Seminarplätze zu verkaufen.
Das ist also das Prinzip der künstlichen Verknappung: durch den erzeugten Mangel drängst – oder freundlicher – motivierst Du die Kunden zu einer schnelleren und vielleicht auch etwas unüberlegteren Kaufentscheidung.
Formen der künstlichen Verknappung
Künstliche Verknappung kann in verschiedenen Formen auftreten. Ich gehe das hier mal durch:
Was kann verknappt werden?
- Ein Preisvorteil (nur für 3 Tage zum günstigen Sonderpreis, danach wieder teuerer)
- Die zur Verfügung stehende Menge (Anzahl Plätze, Anzahl Exemplare)
- Ein Zusatznutzen (die ersten 5 Käufer oder nur wer heute kauft erhält zusätzlich noch irgendwas)
Wie kann man etwas verknappen?
- Zeitlich (nur für 3 Tage, nur bis Freitag)
- Mengenmäßig
- Nur für eine bestimmte Personengruppe (Sonderpreis für Newsletterabonnenten)
Aus welchem Anlass wird künstliche Verknappung eingesetzt?
- Oft für Launches, also Produktneueinführungen
- Andere wie Jubiläen, Meilensteine, irgendwas (weil man gerade eine Aktion machen will und einen Anlass braucht)
Was ist das Ziel von solchen Aktionen?
- Meistens Verkäufe – Absatzsteigerung
- Manchmal Markttests – Du bietest Deiner Community eine Vorab-Version an um zu sehen wie das Produkt ankommt und um Feedback einzuholen
- Oft auch Aufmerksamkeit, Bekanntheit und Reichweite
Akzeptierte Gründe für den Einsatz von künstlicher Verknappung
Da hatten wir jetzt schon einige legitime Gründe für eine künstliche Verknappung. Gerade die Sache mit dem Produkttest ist absolut nachvollziehbar. Wenn Du ein noch unfertiges Angebot hast, dann willst Du das eben noch nicht massenweise in die Welt streuen, sondern gibst es erstmal einem kleinen und vertrauten Teil Deiner Community.
Solche Sachen wie vergünstigte Early Bird Tickets für Veranstaltungen sind auch bekannt und akzeptiert. Das ist auch nachvollziehbar. Als Veranstalter will ich erstmal überhaupt eine Grundmasse an Teilnehmern zusammenbekommen. Das ist im Grunde auch eine Art Markttest. Wenn ich nicht mal die preiswerten Early Bird Tickets loswerde, werden die teureren Standardtickets wohl auch nicht gehen.
Probleme beim Einsatz von künstlicher Verknappung als Marketingstrategie
Glaubwürdigkeit
Da kommen wir jetzt schon zum ersten Problem. Und mittlerweile einem der gravierendsten: Die Glaubwürdigkeit.
Bei den beiden Beispielen eben kann man das wunderbar nachvollziehbar begründen, warum man bewusst nur eine kleine Menge zur Verfügung stellt. Das versteht jeder. Das akzeptiert jeder.
Nun habe ich aber gerade im Bereich des Onlinemarketing die Beobachtung gemacht, dass diese Strategie der künstlichen Verknappung immer mehr eingesetzt wird – auch und gerade bei digitalen Infoprodukten.
Solche digitalen Infoprodukte haben bekanntlich Grenzkosten von praktisch null. Du musst sie einmal produzieren – das verursacht Kosten. Ob Du danach 10 oder 100 oder 10.000 Stück verkaufst, führt nicht zu zusätzlichen Kosten.
Da ist es einfach schwerer erklärbar, warum so ein pdf oder Videokurs zu unterschiedlichen Preisen daherkommt.
Ein kleiner Preisabschlag für die Einführungsphase ist noch o.k. Das ist verbreitet und akzeptiert. Also wenn das Produkt statt 300 EURO nur 270 kostet. Ich habe aber auch schon Fälle gesehen, wo so ein 300 EURO-Produkt dann „nur diese Woche“ für 30 EURO verkauft wurde.
Akzeptanz und Vertrauen
Und da beginnt ein Akzeptanzproblem.
Da habe ich als Kunde dann nicht mehr das Gefühl, einen guten Schnitt gemacht zu haben, sondern dass ich verarscht würde, wenn ich den vollen Preis zahlen würde.
Damit geht mein Vertrauen in den Anbieter ganz schön in den Keller.
Und damit hast Du gleich zwei Probleme:
- Das wirkt reißerisch und marktschreierisch und das stößt viele ab. Ich habe ganz oft gelesen, dass Menschen diese „Ich schenke Dir mein Buch“-Angebote von vornherein ablehnen, weil sie das einfach als zu reißerisch empfinden und sich verkohlt vorkommen.
- Wenn Du damit Vertrauen zerstörst, schadest Du langfristig Deiner Marke.
Sowas solltest Du Dir also ganz genau überlegen.
Veränderte Preiswahrnehmung und Wertigkeit des Angebots
Nächstes Problem: Gerade mit Preisangeboten und solchen extremen Spannen senkst Du den unbewussten Referenzrahmen für Deine Angebote. Der Kunde kann den Normalpreis als „Mondpreis“ ansehen. Du kannst in die Obi-Falle laufen. Dann kauft kein Mensch mehr zum regulären Preis und jeder versucht nur noch, die Schnäppchen abzugreifen.
Das kann funktionieren, wenn Du Deine Preise von vornherein so kalkulierst, dass Du mit dem Aktionspreis völlig zufrieden bist. Sonst nicht.
Wahrgenommener Nutzen für die Zielgruppe
Das nächste Problem ist auch schon angeklungen: Passt so eine Verknappungsaktion überhaupt zu Deiner Zielgruppe?
- Möchte die solche Angebote erhalten?
- Fühlt die sich wohl oder unwohl, wenn Du sie mit einer Verknappung dezent unter Druck setzt?
- Bietet das was Du da verknappst überhaupt einen Nutzen, den derjenige der die Kaufentscheidung trifft auch schätzt?
Klassisches Beispiel: Seminare für Firmenkunden. Ein Mitarbeiter sucht sich ein Seminar aus. Dem ist es völlig egal ober er bei Buchung bis nächsten Montag 50 % sparen kann. Der bezahlt das nämlich gar nicht, sondern die Personalabteilung.
Was Du beim Einsatz von künstlicher Verknappung beachten solltest
Und damit gehe ich auch schon ganz allmählich über zu den Punkten die Du bei solchen künstlichen Verknappungsaktionen beachten solltest. Sowas kann sehr gut funktionieren. Du solltest es aber vorher ganz genau durchdenken.
Bleiben wir gleich mal bei dem Punkt ob der verknappte Aspekt überhaupt entscheidungsrelevant ist.
Bei Firmenkunden wo es der Arbeitgeber bezahlt bringen Preisabschläge für Early Bird Tickets eher weniger. Da brauchst Du einen Zusatznutzen, der dem Entscheider, also dem der an dem Seminar teilnimmt, etwas bringt. Vielleicht dass die ersten 10 Teilnehmer noch das Buch vom Referenten geschenkt bekommen.
Zusatznutzen ist überhaupt eine gute Alternative zu Preisnachlässen. So habe ich das gemacht, als ich mit meiner letzten Evernote-Anleitung an den Markt gegangen bin.
- Ich wollte da keinen Preisabschlag machen. Was willst Du auch bei einem 29 EURO-Produkt noch nachlassen?
3 EURO locken niemanden hinter dem Ofen hervor.
20 EURO signalisieren, dass das Produkt nichts wert ist.
- Also habe ich ein paar Bonusmaterialien erstellt, nützliche Zusatzinhalte.
- Dann habe ich die Anleitung mit diesen Zusatzinhalten zuerst nur meiner Community angeboten. Also nur den Abonnenten meines Evernote-Newsletters und den Mitgliedern meiner Facebook-Gruppe Produktiv arbeiten mit Evernote.
- Die hatten 2 ½ Tage Zeit das zu kaufen.
- Danach gab es das gleiche Produkt zum gleichen Preis nur eben ohne Zusatzinhalte für alle.
- Das hat sehr gut funktioniert und wurde auch von allen als fair empfunden.
An der Stelle habe ich auch wieder gesehen, dass man so eine künstliche Verknappung nachvollziehbar begründen sollte.
Ich habe eben gesagt „Ihr, Community, seid mir wichtig. Ihr habe mir vorher geholfen mit Feedback und dass ihr an meiner Umfrage teilgenommen habt. Ihr sollt auch etwas davon haben, dass Ihr mir folgt.
Die zeitliche Begrenzung ist nur, weil ich auch irgendwann mal mit einem regulären Verkauf starten will“
Das hat jeder verstanden.
Die Begründung muss auch gar nicht unbedingt eine hochtrabende betriebswirtschaftliche Logik sein. So tief denkt da nun auch wieder kaum jemand drüber nach. Es muss einfach nur nachvollziehbar sein.
Und wenn Du auf Deine Marke und Deine Positionierung achtest, dann sollte die Begründung auch authentisch sein.
Da darfst Du durchaus auch mal Deine ethischen Werte mit heranziehen oder erklären dass Du eben Variante X machst, weil Du die weit verbreitete Variante Y ablehnst.
Es sollte aber nicht willkürlich und nach reiner Marketingmasche klingen.
Ja und letztlich musst Du einfach schauen, dass das, was und wie Du verknappst überhaupt zu Deiner Zielgruppe passt.
- Passt das zu ihrer Situation
- Ist das was Du verknappst überhaupt entscheidungsrelevant und bietet es ihnen einen Zusatznutzen
Wenn Deine Zielgruppe eher einen Premiumpreis für eine handsignierte Erstausgabe zahlen würde, dann musst Du denen kein vergünstigtes Paperback anbieten. - Können und wollen die überhaupt so schnell entscheiden
- Passt diese Art von Marketing zu ihnen. Haben die das Gefühl, Du bietest ihnen einen Wert an oder fühlen sie sich nach allen Tricks aus der Marketingkiste ausgenommen?
- Und nochmal: Wie wird sich so eine Verknappungsaktion in der Wahrnehmung Deiner Zielgruppe auf Deine Marke auswirken? Sehen die Dich danach positiver oder negativer?
Was hältst Du von Verknappung im Marketing? Erzähl mal in den Kommentaren.
Experteninterview zur künstlichen Verknappung als Marketingstrategie für Selbständige und Solo-Unternehmer
Die Studentin Julia Voß hat mich für ihre Masterarbeit zum Thema Scarcity Marketing interviewt.
Du kannst Dir unser Gespräch hier anhören.
Besonders interessant: Julia erzählt dabei auch etwas von ihren Erkenntnissen, die sie schon aus den anderen Experteninterviews gewonnen hat. Das gibt auch nochmal ein paar interessante Gedanken, auch aus anderen Branchen.
Die Interviewfragen mit ca. Zeitmarken
Auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 ein „Werbetrick“ und 10 eine „komplexe Marketingstrategie“ ist, wo sortieren Sie künstliche Verknappung im Bereich Marketing ein? – ca. Minute 2:20
Was verstehen Sie unter Scarcity Marketing? Ist dieser Begriff in Ihrem Unternehmen gebräuchlich? Bitte beschreiben und definieren Sie kurz Ihre Vorstellungen von diesem Begriff. – 4:30
Wie setzen Sie diese Strategie ein bzw. wie wird sie unter Selbständigen und Solo-Unternehmern genutzt? – 5:50
Welche Ziele werden Ihrer Ansicht nach mit dem Scarcity Marketing verfolgt? Worin liegen die größten Chancen? – 10:10
Wie wird Scarcity Marketing in Ihrem Unternehmen umgesetzt? Welche sind besonders effektiv? – 13:10
Können Sie schätzen, wieviel Prozent aller Marketingaktivitäten bei Ihnen und Ihren KundInnen einen Bezug zum Scarcity Marketing haben? – 18:20
Wie reagieren Ihrer Erfahrung nach Kunden auf limitierte Angebote? Welche Auswirkungen auf das Konsumentenverhalten haben sie feststellen können? – 25:30
Worauf hat Scarcity Marketing Ihrer Meinung nach den größten Einfluss? Bringen Sie die drei wichtigsten Wirkungen bitte in eine Reihenfolge. – 28:30
a) Gesteigerte, angenommene Kostspieligkeit
b) Verbesserte Einstellung zum Kauf (Kaufabsicht)
c) Schnelle Kaufentscheidung (Impulskäufe)
d) Positive Einstellung zum Produkt (Attraktivität)
e) Höhere, wahrgenommene Beliebtheit
f) Höhere, angenommene Qualität
g) Größere Exklusivität
h) Höhere Zahlungsbereitschaft
i) Stärkeres Konkurrenzempfinden
j) Kommunikationsmittel
An welchen Stellen kommt es beim Scarcity Marketing ggf. zu Diskrepanzen zwischen den erwarteten Reaktionen und der Wirklichkeit? Wo liegen Ihrer Meinung nach die Risiken einer solchen Verknappungsstrategie? Und wann ist eine solche Strategie nicht empfehlenswert? – 33:15
Zum Abschluss folgendes Gedankenspiel: Wir befinden uns im Jahr 2030. Was für eine Rolle spielt künstliche Verknappung als Marketinginstrument? – 39:50
Nina says
Super interessant. Ich verstehe gerade, warum ich von manchen erst als wertvoll empfundenen Newslettern genervt bin, Angebote nicht mehr als wertvoll einschätze und die Newsletter abbestelle…
Wenn jemand alle zwei Monate mit super reduzierten Angeboten für E-Books und online-Kurse ankommt, die angeblich normalerweise 4 Mal so teuer (und 8 Mal so viel wert….) sind, dann denk ich: Verscherbelt euren Müll, aber nicht an mich… ;)))
Dagmar Recklies says
Genau das ist ein Problem von Verkanppungsstrategien. Es kann auch zu viel werden und dann schlägt die Wirkung ins Gegenteil um
Birgit says
Super Artikel! Genau das habe ich auch schon einige Male erlebt, dass ich mir „verarscht“ vorkomme, wenn mir jemand weiß machen will, dass z.B. ein PDF „nur x mal“ erhätlich ist. Unverständlich wie man solche Methoden anwenden kann. Da zahle ich gerne mehr für jemanden, der „ehrliches Marketing“ betreibt.
Dagmar Recklies says
Stimmt. Das nur begrenzt vorhandene PDF ist ein Extrembeispiel. Dabei reicht oft schon eine nachvollziehbare Begründung – wenn es denn eine gibt.