Lebenslanges Lernen – das klingt ein wenig nach Vorstandsrede auf der Firmenweihnachtsfeier. Oder nach Moralpredigt der Eltern – und je öfter wir es hören, umso mehr klingt es auch nach Phrasendreschmaschine. In diesem Artikel erkläre ich, was ich unter lebenslangem Lernen verstehe. Mit dieser Sichtweise wird aus der lästigen Pflicht eine ganz selbstverständliche Handlung.
Sicher ist: der Begriff wurde oft missbraucht. Da wird Mitarbeitern die Verantwortung für ihre Fortbildung selbst aufgebürdet – aber ein Seminar auf Firmenkosten, das ist nicht budgetiert. Da werden hochtrabende Change-Initiativen als Chance zur persönlichen Entwicklung verkauft – obwohl die Belegschaft einen Berg zusätzlicher Arbeit wittert. Mit solchen Geschichten im Hinterkopf kann einem tatsächlich die Lust auf Weiterbildung vergehen.
Dabei wird hier meines Erachtens ein sehr wichtiges Konzept einfach nur unattraktiv verpackt. Wir alle wissen, dass Wissen in unserer schnelllebigen VUCA-Welt schneller veraltet als je zuvor. Nur dieser daraus abgeleitete Zwang zur kontinuierlichen, bewussten und gezielten Fortbildung wirkt einfach unattraktiv. Das klingt, als ob wir alle einen teuren Kurs nach dem anderen besuchen müssen – möglichst noch in unserer ohnehin knapp bemessenen Freizeit. Das klingt nach notwendigem Übel, um in der VUCA-Welt nicht unter die Räder zu kommen.
Ich verstehe unter lebenslangem Lernen etwas anderes: Lernen ist für mich genauso natürlich wie atmen und essen. Genauso selbstverständlich und unbewusst wie wir beim Gehen einen Fuß vor den anderen setzten, so nehmen wir auch ständig neue Impulse und Eindrücke auf. In unserer Medienwelt ist es doch praktisch unmöglich, nicht jeden Tag etwas Neues zu erfahren. Der Unterschied zwischen Lernen und Konsum besteht nur darin, für diese Eindrücke offen zu sein, sie sogar zu suchen, sie bewusst aufzunehmen und sie im Gehirn arbeiten zu lassen.
Lernen, so wie ich es verstehe, beschränkt sich damit nicht auf den zielgerichteten Wissenserwerb („Wir führen eine neue Software ein und dafür benötigen alle eine Schulung“). Es geht auch nicht nur darum, den eigenen Arbeitsmarktwert zu erhalten und zu verbessern. Ich halte eine völlig ergebnisoffene Neugierde für mindestens genauso wichtig. Nicht umsonst gibt es in der populären und schnell wachsenden Literatur rund um das Thema Selbstoptimierung zahlreiche Ratschläge wie:
- Lesen Sie jede Woche ein Buch
- Lesen Sie richtige Bücher, nicht nur Blogposts
- Nehmen Sie vielfältige neue Eindrücke und Erfahrungen auf. Sie erweitern damit ihren Fundus an Referenzen und können so neue Ereignisse besser bewerten und einordnen (sinngemäß nach Toni Robbins)
Diese Art zu lernen kann sich anfangs ungewohnt anfühlen. Unsere Gehirne sind heute stark auf Effektivität und Effizienz getrimmt. Wenn man sich dann einfach nur aus Interesse tiefer in ein Gebiet einliest, fühlt es sich zunächst einmal an wie Zeitverschwendung. Aber irgendwann später kann es sein, dass sich ein paar dieser scheinbar losen Wissensinseln in unserem Kopf zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen. Dann eröffnen sich ganz neue Wege.
Auf diese Art wird lernen zu einer Investition in die Zukunft und in sich selbst. Wie bei allen auf die Zukunft gerichteten Maßnahmen weiß man vorher nie ganz sicher, ob und welche davon einmal Früchte tragen werden. Aber darauf kommt es auch gar nicht an. Erlauben Sie einfach Ihrem Gehirn, offen für Neues zu sein und seinen gesamten Speicherinhalt nach Belieben miteinander zu verknüpfen. Dann ist das wie mit einer großen Lego-Kiste: Je mehr Steine darin sind, umso mehr Möglichkeiten gibt es, daraus etwas ganz tolles zu bauen.
Ich selbst habe mir in den letzten Jahren eigentlich ständig irgendwelche neuen Themengebiete erschlossen und bin immer wieder erstaunt, wie sich irgendwann unerwartet ein paar Bausteine zusammenfügen:
- Wir waren schon recht früh mit eigenen Webseiten im Internet unterwegs. Damals haben wir noch ganz ohne Content Management System in FrontPage jede Seite einzeln aufgebaut. Irgendwann kam dieses neue Ding namens bloggen auf und wir haben einfach mal losgelegt. Wenig später hatten wir ein englischsprachiges Strategieblog und ich schrieb in einem reinen Hobbyblog.
So lernte ich WordPress kennen und kann heute mein Wissen dazu an andere weitergeben. Da ich mich nie als Programmierer oder Webdesigner gesehen habe, ist meine Wissensvermittlung konsequenterweise rein aus Anwendersicht für Anwender konzipiert – und ich habe meinen individuellen Beratungsansatz. - Im letzten Jahr habe ich – völlig fachfremd und nur aus persönlichem Interesse – eine Fortbildung zum Ernährungsberater absolviert. Als unerwartete Nebeneffekte habe ich bekommen:
- jede Menge Lebensweisheiten („Informiere die Menschen, dann desorientierst Du sie. Mit dieser Orientierungslosigkeit kann man viel Geld verdienen.“)
- eine Idee für eine Nischenwebseite, die ich leider aus Zeitmangel noch nicht umgesetzt habe
- das wiederholte Gespräch mit anderen Kursteilnehmern: „Ach, du kennst dich mit Webseiten aus? Ich brauche ja dann auch eine für meine Praxis. Ich habe aber keine Ahnung wie ich das angehen soll. Hast Du mal ein paar Tipps für mich?“
Und ich hatte eine Geschäftsidee für ein neues Beratungsfeld.
P.S. Mehr zum Thema Wissen und Lernen gibt es in diesen Podcastfolgen
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